Reykjavik Open 2022

Zwei Spieler des SC Pirmasens machten sich am 1. April 2022 auf den Weg nach Reykjavík zu einem der renommiertesten Schachturniere weltweit …
Kein Aprilscherz! Erstmals seit 2019 fand endlich wieder eine reguläre Auflage des weltberühmten Reykjavík Open statt.

Ankunft
Für Herbert und mich war Island kein Neuland mehr, da wir bereits Schachturniere in Reykjavík und Akureyri gespielt hatten.
Die Flüge waren größtenteils durch den Gutschein bezahlt, den wir zwei Jahre zuvor von Icelandair bekommen hatten, nachdem das Turnier wegen der beginnenden Corona-Pandemie abgesagt worden war.
Nach unserer Ankunft in Island bot sich uns eine verkehrte Welt.
Hatte es am Flughafen in Frankfurt gerade angefangen zu schneien, erwartete uns in Island sonniges Frühlingswetter (in den folgenden Tagen gab es dann allerdings Regen).
Auch mussten wir uns erst daran gewöhnen, dass niemand (bis auf ein paar „Exoten“ wie wir) eine Maske trug – auch nicht in dichtem Gedränge.
Nachdem Ende Februar in Island sämtliche Covid-Einschränkungen abgeschafft worden waren, scheint dort die „Normalität“ zurückgekehrt zu sein.

Heart of Stone
Wir waren schon einige Tage vor dem Turnier in Reykjavík, um noch etwas unternehmen zu können.
Mit Flohmarkt, weltbester Hummersuppe und Maritim-Museum ließen wir unseren ersten vollen Tag langsam angehen.
Der Versuch, vorab unser Spiellokal Harpa zu besuchen, scheiterte daran, dass dort gerade ein neuer Netflix-Film gedreht wurde.
Auch in den folgenden Tagen mussten wir aus demselben Grund so manchen Umweg in Kauf nehmen.
Herbert wird sich deshalb „Heart of Stone“ nicht anschauen, wenn der mal läuft.
Für das Abendessen hatten wir eigentlich ein üppiges Fischbuffet in unserem Lieblingsrestaurant geplant.
Unsere Enttäuschung war groß, als wir feststellten, dass dieses Restaurant (vielleicht als Folge der Corona-Pandemie?) zugemacht hatte, und das gelbe Haus nun eine Baustelle war.
Als Entschädigung gönnten wir uns im Haus nebenan, welches zu den besten Restaurants in Reykjavík zählt, ein exzellentes mehrgängiges Menü.
Sogar der sonst eher skeptische Herbert war zufrieden: „Das beste Lamm, das ich jemals gegessen habe“.

Silver Circle Tour
Am Sonntag unternahmen wir die „Silver Circle mit Lavahöhle“ Tour, welche in den Westen von Island führt.
Stationen waren die imposanten Wasserfälle Hraunfossar und Barnafoss, die heißen Quellen von Deildartunguhver, eine Wanderung auf den Krater Grábrók und die Orte Reykholt und Húsafell.
Highlight war eine Führung durch die Lavahöhle Víðgelmir, die vor allem wegen ihrer Größe und ihres bunten Gesteins bekannt ist.
Inmitten der Höhle schaltete unser Führer das Licht aus, so dass wir absolute Dunkelheit und Stille erleben konnten.
Die Tour gefiel uns so gut, dass wir planten, die Doppelrunde am nächsten Sonntag durch eine weitere Tagestour zu ersetzen.

Wonders of Iceland
Am Montag besuchten wir das neu eingerichtete Museum in Reykjavíks Warmwasserspeicher Perlan.
Neben der Ausstellung „Wonders of Iceland“, welche u.a. die Auswirkung des Klimawandels auf die isländischen Gletscher demonstriert, gab es eine Planetarium-Show und eine rekonstruierte Eishöhle.
Den Ausklang machte ein reichhaltiges Buffet in einem Vier-Sterne-Hotel als weiterer Ersatz für das ausgefallene Buffet in unserem Fischrestaurant.

Alter Hafen
Am Dienstag stieß mit Kai-Uwe ein weiterer in Pirmasens gut bekannter Spieler dazu.
Nach einem Hafenbummel mit weltbester Hummersuppe wurden Einkäufe inklusiv der obligatorischen Spaghetti getätigt.
Abends gab es Speis und Trank in derselben urigen Kneipe, in der wir vor sechs Jahren unseren ersten Gammelhai probiert hatten.

Eröffnung und 1. Runde
Am Mittwoch wurde das Reykjavík Open 2022 von Reykjaviks Bürgermeister eröffnet.
Mit 245 Teilnehmern war es quantitativ ähnlich stark besetzt wie vor der Pandemie.
Zwar fehlten diesmal die ganz großen Namen, aber mit Gukesh, Niemann, Sadhwani, Praggnanandhaa, Yoo und Mishra waren einige der weltbesten Youngsters am Start.
In der ersten Runde bekamen Herbert und ich jeweils einen Internationalen Meister zugelost.
Ich konnte die Partie gegen den schwedischen IM Erik Hedman relativ problemlos remis halten.
Herbert landete gegen IM Dietmar Kolbus, der früher für die SG Trier aktiv war und jetzt für die Isle of Man spielt, im Endspiel Turm gegen Turm und Läufer.
Hier war ebenfalls ein Remis drin. Herbert stand zwar vor einem unvermeidbaren Matt, er hätte allerdings einen Zug vor dem Matt gemäß der 50-Züge-Regel auf remis reklamieren können:
119.Td1! Th8+ 120.Td8!! remis.
Stattdessen opferte er mit 119.Tc5:+?? seinen Turm gegen den Läufer und wurde erst danach gewahr, dass er damit die 50-Züge-Regel außer Kraft gesetzt hatte.
Kommentar von Herbert: ein Remis wäre unverdient gewesen.

2. Runde und Bruckner
Die zweite Runde bescherte mir FM Stephen Dishman, gegen den ich schon in der luxemburgischen Pokalmannschaftsmeisterschaft gespielt hatte.
In einer Eröffnungsvariante, die mein Gegner besser kannte als ich, wählte ich die falsche Abwicklung.
Nach einem Bauernverlust konnte ich die Partie nicht mehr retten.
Herbert verpasste es, gegen seinen kroatischen Gegner bereits nach wenigen Zügen in Vorteil zu kommen.
Später dachte er, seinen Gegner mit einem Ablenkungszug ausgetrickst zu haben.
Da aber seine Dame mit Schach geschlagen wurde, musste Herbert zurückschlagen statt das geplante Grundlinienmatt ausführen zu können.
Danach verflachte die Partie schnell zu einem Remis.

Eigentlich hätten wir am Donnerstag aufgrund einer Doppelrunde noch eine weitere Partie spielen müssen.
Herbert und ich nahmen jedoch ein Bye, um in der Harpa ein Konzert mit dem Isländischen Sinfonieorchester zu besuchen.
Während im Erdgeschoß Schach gespielt wurde, saßen wir einige Etagen weiter oben im wunderschönen großen Konzertsaal „Eldborg“ und genossen u.a. die dritte Sinfonie von Anton Bruckner.

4. Runde und Pub-Quiz
Auch in der Freitagsrunde konnte ich entspannen, da sich mein amerikanischer Gegner wegen Krankheit vom Turnier abgemeldet hatte.
Herbert musste gegen seine deutsche Gegnerin schwer kämpfen, bevor er schließlich den vollen Punkt einfahren konnte.

Abends nahmen wir wie schon in früheren Jahren als Team „Bärmesenser Schlabbefligger“ am Pub-Quiz teil.
Trotz Verstärkung durch Kai-Uwe reichte es aufgrund der teilweise sehr schwierigen Schach-Fragen wieder nur zu einem Mittelplatz.

5. Runde
Am Samstagmittag vor der fünften Runde wurde fürstlich gespeist, aber diesmal nicht in einem Edel-Restaurant, sondern in der Küche unseres Appartements.
Nach den obligatorischen Spaghetti servierte uns Kai-Uwe zarten Lachs mit Rosmarin aus dem Backofen und dazu einen köstlichen Gurkensalat mit frischer Minze.

Am Schachbrett hatte ich Weiß gegen einen Gegner von den Färöer Inseln.
Mein Gegner „fand“ einen interessanten Plan, mit dem er nicht nur ausglich, sondern sogar in Vorteil kam.
Nach der Partie erklärte er mir, dass dies eine Idee von Stockfish war, mit dem er sich auf unsere Partie vorbereitet hatte.
In der Folge entwickelte sich die Partie immer mehr zu meinen Ungunsten, so dass mein König kurz vor dem Matt stand.
Aus Verzweiflung stellte ich ein paar Drohungen gegen den gegnerischen König auf, welche leicht abzuwehren gewesen wären.
Mein Gegner wurde jedoch so nervös, dass er mir gestattete, in ein ausgeglichenes Endspiel abzuwickeln.
Nach einem Fehler meines Gegners hätte ich nun meinerseits die Möglichkeit gehabt, die Partie zu gewinnen.
Da ich bestrebt war, die Partie in den Remishafen zu lenken, übersah ich jedoch diese unverhoffte Chance, und die Partie endete kurz danach remis.
Hier kann ich ähnlich argumentieren wie Herbert: ein Sieg wäre unverdient gewesen.
Herbert spielte mit Schwarz gegen IM Robert Baskin aus Deutschland.
Offenbar hatte er so viel Respekt vor seinem Gegner, dass er sich ganz ohne Gegenwehr zusammenschieben ließ.
Herbert war das sehr peinlich: „Hoffentlich hat die Partie niemand gesehen“.
Die Chancen dafür stehen allerdings schlecht, da die Partie live im Internet übertragen wurde und online verfügbar ist.

Jökulsárlón-Gletscherlagune
Am Sonntag gab es eine Doppelrunde, aber wie geplant nahmen Herbert und ich zwei weitere Byes, um eine weitere Tagestour unternehmen zu können.
Die Tour zur Jökulsárlón-Gletscherlagune hatten wir in früheren Jahren wegen ihrer langen Dauer von 15 Stunden noch nicht gemacht.
Nun war die Gelegenheit gekommen, dieses uns noch unbekannte Highlight zu besichtigen.
An der „South Coast“ Tour nach Vík, dem südlichsten Ort Islands, in dem die Netflix Mystery-Serie „Katla“ spielt, hatten wir schon vor sechs Jahren teilgenommen.
Aber Vík war diesmal nur die halbe Strecke. Insgesamt müssen knapp 800 km auf der Ringstraße zurückgelegt werden (eine Autobahn gibt es auf Island nicht).
Erste Station war ein mit Moos bewachsenes Lavafeld nahe der Laki-Krater.
Deren Ausbrüche in den Jahren 1783 und 1784 führten in Europa zu einer Hungersnot, welche als einer der Auslöser für die französische Revolution angesehen wird.
Nach einer Stärkung in einem für isländische Verhältnisse preiswerten Truck-Stop mit sehr leckerem Seesaibling ging es dann weiter zum „Diamond-Beach“.
An diesen Strand aus schwarzem Sand werden Eisbrocken vom Gletscher Vatnajökull angespült, die mit ihrer klaren blauen Farbe an geschliffene Diamanten erinnern.
Ein wunderschönes Schauspiel, wenn die meterhohen Wellen des Meeres von diesen kleinen Eisbergen gebrochen werden.
Ganz in der Nähe konnten wir den Gletschersee Jökulsárlón besichtigen, in dem größere kristallblaue Eisberge mit schwarzen Lava-Einschlüssen trieben.
Ein Tourist aus Deutschland wagte es sogar, in dem eiskalten Wasser zu baden.
Am Rückweg sahen wir dann die bekannten Wasserfälle Skógafoss und Seljalandsfoss sowie den hinter einer Felswand verborgenen ebenfalls sehr sehenswerten Wasserfall Gljúfrabúi.

8. Runde
Am Montag dann die achte Runde.
Mit Schwarz war ich in eine leicht schlechtere Position geraten, als mein Gegner mir zu einer Gewinnstellung verhalf, indem er inkorrekt eine Figur opferte.
In Zeitnot stellte ich jedoch einen Turm ein, aber mit Läuferpaar und einem Freibauern hatte ich zumindest ausreichende Kompensation für die Qualität.
Nach einem Fehler meines Gegners schaffte ich es schließlich, eine undeckbare Mattdrohung aufzustellen und die Partie doch noch zu gewinnen.
Herbert überrollte seinen Gegner mit den schwarzen Steinen, obwohl er nach der Partie meinte, dass er seine Bauernwalze vielleicht etwas zu schnell in Gang gesetzt hatte.

9. Runde und Siegerehrung
In der neunten und letzten Runde bekam ich mit IM Marina Brunello eine starke Gegnerin zugelost, die in der zweiten Runde gegen Praggnanandhaa remisiert hatte.
Die Partie verlief zunächst fast identisch zu meiner Partie in der fünften Runde, aber meine Gegnerin kannte offenbar den Stockfish-Plan nicht, so dass ich eine bequeme Stellung erhielt.
Nach einem vermeintlichen Fehler meinerseits lief ich in einen taktischen Konter und verlor Figur und Partie.
Meine Verblüffung war groß, als mir der Computer nach der Partie zeigte, wie ich den Spieß hätte umdrehen können.
Voraussetzung wäre gewesen, eine geschlagene Figur nicht zurückzuschlagen, sondern diese mittels eines Läufer-Rückzugs dank Fesselung auf der d-Linie vorteilhaft zurückzugewinnen.
Herbert hatte sich schon früh mit einem Kurzremis abgeseilt, weil er mit dem Ergebnis seiner Weiß-Eröffnung nicht zufrieden war.
Am längsten von uns kämpfte Kai-Uwe, der seine isländische Gegnerin schließlich im Endspiel niederringen konnte.

Auf der Siegerehrung, die im Rathaus von Reykjavík stattfand, wurde wie in früheren Jahren kostenloses Buffet und Sekt angeboten.
Turniersieger wurde übrigens Praggnanandhaa, der Gukesh in der letzten Runde in einer dramatischen Partie aus einer Verluststellung heraus schlug.

Alle Ergebnisse des Turniers gibt es hier:
Kvika Reykjavik Open 2022

Epilog
Am Mittwoch besuchten wir nach einem Zwischenstopp am weltberühmten Hotdog-Stand, an dem schon Bill Clinton gespeist hat, das immer wieder sehenswerte Isländische Nationalmuseum, bevor der Abend mit einem weiteren Restaurantbesuch ausklang.
Die Rückreise am Donnerstag verlief stressfrei, da wir bereits den ersten Flybus um 3 Uhr morgens nahmen, um drei Stunden vor Abflug am Flughafen Keflavík zu sein.
Herbert hatte sich vor dem Turnier die Haare schneiden lassen und den Bart gestutzt.
Das zahlte sich beim Sicherheitscheck aus, da nun eine Verwechslungsgefahr mit irgendwelchen Straftätern ausgeschlossen war.
Und ich war rechtzeitig zu Hause, um dem SC Pirmasens in der Quarantäne-Liga beim Aufstieg helfen zu können.

Erstellt am 08 Mai 2022 von Ansgar Barthel